Ein Anfang mit Tohuwabohu
Natürlich beginnt die Tora mit dem Anfang – und zwar wörtlich. Das erste Wort bereschit bedeutet nicht nur „am Anfang“, es ist auch Namensgeber für das 1. Buch Mose. Im Vergleich zum umfangreichen restlichen Text der Tora wird der Schöpfungsakt in gerade Mal einem Kapitel abgehandelt. Aber allein dieses Kapitel steckt voller Fragen und Merkwürdigkeiten.
G´tt erschafft als erstes den Himmel und die Erde. Die Erde aber war „wüst und wirre“, im Original tohu wabohu – der Ursprung unseres „Durcheinanders“. Doch obwohl G´tt nur Himmel und Erde geschaffen hat bisher, gibt es trotzdem schon Wasser, über welchem der Geist G´ttes schwebt (1:2) und auch die Finsternis wurde nicht extra geschaffen – sie war schon da. Darum macht G´tt erstmal Licht – und das Licht ist das erste, was G´tt erschafft indem er spricht. Wie G´tt den Himmel und die Erde erschaffen hat bleibt unklar – aber das Licht und viele weitere Dinge später entstehen nur dadurch, dass G´tt es ausspricht, Worte findet, den Dingen einen Namen gibt. Schon hier findet sich der erste Hinweis darauf, dass das Judentum eine Gemeinschaft der Wörter, der Buchstaben sein wird. Durch die Trennung von Finsternis und Licht und die Benennung in Nacht und Tag endet der erste Schöpfungstag.
Am zweiten Tag wird es etwas kryptisch: G´tt trennt das Wasser in oberes Wasser und unteres Wasser und die Ausdehnung zwischen diesen beiden Wassern nennt er Himmel. Aber wurde der Himmel nicht schon am ersten Tag geschaffen? In der Tat – aber benannt noch nicht (1:8). Nach dem anstrengenden ersten Tag lässt es G´tt am zweiten Tag mit dem Himmel bewenden.
Am dritten Tag wird es wieder geschäftiger. G´tt schafft Erde (im Sinne von Land) und Meer und Vegetation („Sprießendes, Kraut mit Samen und Bäume mit Früchten“ 1:12).
An Tag Nr. 4 erschafft G´tt Sonne, Mond und Sterne, auch wenn diese nicht benannt werden. Das große Licht soll den Tag beherrschen und das kleinere Licht die Nacht (1:16) und auch eine Funktion teilt G´tt ihnen zu: Sie sollen künftig die Zeiten, Tage und Jahre anzeigen (1:14).
Am fünften Tag kommt etwas Leben in die Bude: G´tt erschafft die ersten Tiere (1:20) und zwar die Tiere des Meeres („Wesen, von denen wimmeln die Wasser“) und die Vögel („alles Gefiederte“). Und er erschafft nicht nur – er segnet sie und erteilt das erste Gebot: Seid fruchtbar und mehret euch (1:22).
Am sechsten Tag schafft G´tt zunächst alle Tiere des Landes („Vieh und Gewürm und Getier“ 1:14). An sie geht nicht das Gebot der Vermehrung. Zuletzt entscheidet sich G´tt zur Erschaffung des Menschen. Zum einen sollen sie (es wird immer im Plural gesprochen) nach dem Bilde G´ttes erschaffen werden („nach unserer Ähnlichkeit“ 1:26) und sie sollen über alle Tiere herrschen. Also erschafft G´tt adam – hebräisch für Mensch und er erschafft ihn männlich und weiblich (sachar wenekewa 1:27). Weder steht also Adam dafür, dass der Mann zuerst geschaffen wurde noch wird nur ein Mann geschaffen – es gibt in der Schöpfungsgeschichte männliche und weibliche Menschen. An sie ergeht das Gebot G´ttes, fruchtbar zu sein, sich zu mehren, die Erde zu unterwerfen und über alle Tiere zu herrschen (1:28). Alle Vegetarier*innen mag es zudem freuen, dass G´tt dem Menschen explizit die Pflanzen zur Speise gibt (1:29). Am Ende des Tages (so wie am Ende jeden Tages) sieht sich G´tt nochmal sein Tagwerk an und er stellt immer fest, dass es gut (am sechsten Tag sogar sehr gut) war.
Am Folgetag, dem siebten Tag, ruht sich G´tt von seinem Werk aus und er segnete und heiligte diesen Tag – der Shabbat war geboren (2:3).
Was lehrt uns die Schöpfungsgeschichte? Zunächst: G´tt ist allmächtig, aber er teilt sich die Erschaffung „der Erde, des Himmels und all ihres Heeres“ in sechs Tage ein. Ich will ihn nicht zum Prokrastinierer machen – aber sich Arbeit einteilen und nichts überstürzen scheint mir eine gutes Vorbild zu sein. Auch hat G´tt – das wirkt sehr menschlich – offenbar unterschiedlich viel Elan an den einzelnen Tagen, jedenfalls erschafft er in den einzelnen der sechs Tage unterschiedlich viel. Auffällig auch die Reihenfolge (und Hierarchie?) der Schöpfung: nach den grundlegend nötigen Dingen wie Erde, Himmel und Land kommen zunächst die Pflanzen, dann Sonne und Mond und dann die Tiere. Wobei hier Wasser- und Lufttiere an einem Tag und die Landtiere zusammen mit dem Menschen an einem anderen Tag geschaffen werden.
Schon die Schöpfungsgeschichte ist also ein Anfang, der Lust auf mehr macht und viele symbolische Eigenheiten aufweist.